Blick in eine halle mit großem wasserbecken in dem ein gelbes schiffsmodell  mit messgeräten schwimmt
Unter Wasser

Nautische Tiefe: Wie tief ist das Wasser wirklich?

Damit die Schiffe sicher im Hafen fahren können, ist es entscheidend zu wissen, wie tief das Wasser ist. Hierzu wird das Gewässer regelmäßig auf Tiefe gepeilt. Doch liegt am Boden Schlick, ist am Übergang zwischen Gewässergrund und Wasser lokal manchmal eine Schicht aus Schlick und Wasser, etwa wie dicker Kakao. Können Schiffe dort sicher hindurchfahren? Dies untersucht die HPA zusammen mit ihren Partnern aus Rotterdam und Antwerpen in dem Projekt „Nautische Tiefe“.

schlickprobe in einem durchsichtigen plastikbecher mit Etikett
Kein Kakao, sondern eine Probe mit Flüssigschlick aus dem Hafen.

In Welthäfen wie Rotterdam, Antwerpen oder Hamburg zählt oft jeder Zentimeter Wassertiefe, wenn es darum geht die großen Schiffe sicher an ihre Liegeplätze zu bringen. Durch regelmäßige Peilungen wissen die Nautiker*innen immer ganz genau, wie sie den Schiffsverkehr im Hafen steuern müssen. Doch oft ist der Übergang zwischen fester Gewässersohle und Wasser gar nicht so scharf abgegrenzt, insbesondere in Tidegewässern. Gerade in schlickigen Bereichen ist der Übergang meist fließend. Über dem festen Boden befindet sich an einigen Stellen ein Gemisch aus Schlick und Wasser, Suspension genannt oder auch „fluid mud“, ähnlich wie sehr dicker Kakao.

baggerschiff mit rohrleitungen und auslegern im hafen von emden
Im Hafen von Emden fahren die Schiffe schon seit längerem durch Flüssigschlick. Statt den Schlick zu Baggern wird er immer wieder mit Spezialschiffen verflüssigt und so schiffbar gemacht. Allerdings ist der Hafen nicht tideoffen, sondern von der Ems mit Schleusen abgesperrt.

Bislang wird immer die obere Grenze dieser lokal bis zu mehreren Metern mächtigen Suspensionsschicht gepeilt und für den Schiffsverkehr freigegeben. Entsprechend geringer sind dann die Wassertiefen und es muss gebaggert werden. Doch ein Schiff schwimmt ja auch in „Kakao“ - wenn es gelingen würde sicher zu bestimmen, welche Tiefe der bodennahen Schicht noch problemlos durchfahrbar ist, müsste zumindest zeitweise und an bestimmten Stellen weniger gebaggert werden. Ein echter Vorteil.

hafenszene in rotterdam mit mehreren kleinen booten auf dem wasser vor einer hafenkulisse
Auch in den Häfen von Rotterdam und Antwerpen gibt es in einigen Bereichen Flüssigschlick. Daher arbeiten die drei Häfen in dem Projekt "Nautische Tiefe" eng zusammen.

Zusammen mit den Häfen von Rotterdam und Antwerpen, der Technischen Universität in Delft und verschiedenen deutschen Forschungsinstituten untersucht die HPA daher, wie sich klar und zuverlässig bestimmen lässt, wo Schiffe noch fahren können oder wo wirklich gebaggert werden muss. Hierzu müssen neue technische Messverfahren gefunden werden auf die sich die Nautiker*innen immer verlassen können. So kann z.B. mit verschiedenen Frequenzen gepeilt werden. Durch den Abgleich mit Naturmessungen können die Peilungen dann so interpretiert werden, dass Grundberührungen weiterhin sicher ausgeschlossen werden können. Auch Grundhindernisse wie Steine oder Schrott werden mit dieser Methode in der bodennahen Schicht eindeutig erkannt.

vogelperspektive auf den betriebshafen der WSV bei wedel an der elbe in den eine schute mit schlick einbiegt
Mit einer Schute wird der Schlick für den Großversuch in Wedel angeliefert.
zwei orangene tanklaster vor einer großen halle spülen schlick in die halle
Vom Hafen in Wedel wird der Schlick mit LKWs zur Versuchshalle der BAW in Rissen gebracht und eingespült.
Blick in eine halle mit großem wasserbecken, im vordergrund fließt aus einem rohr ein schlick-wasser-gemisch ins becken
Einspülung des Schlicks in das Versuchsbecken.
Blick in eine halle mit großem wasserbecken in dem mehrere menschen wasser stehen und  schlick verteilen, im vordergrund eine frau mit warnweste die ein foto macht
Die gleichmäßige Verteilung des Schlicks erfolgt von Hand.
ein mann in einem labor an einem monitor neben einem  gerät zur messung der scherfestigkeit
Während des Versuchs werden immer wieder Schlickproben im Labor untersucht, hier auf Scherfestigkeit.
Ein mann in einer versuchshalle mit neonröhren an der decke manövriert ein schiffsmodell ein einem großen wasserbecken, ein anderer mann steht mit gummistiefeln im wasser und hilft
Dieses selbstfahrende und maßstabsgetreue Schiffsmodell steck voller Sensoren die genau messen, wie sich das Schiff im Flüssigschlick verhält.
Blick in eine halle mit großem wasserbecken, links im vordergrund ein großer monitot und wissenschaftliche geräte
Sämtliche Messdaten sind in Echtzeit sichtbar.
eine plastikente schwimmt einem einem becken, im wasser spiegeln sich die neonröhren von der decke
Auch Enten (hier ein Modell) können im Flüssigschlick schwimmen.

Zudem wird untersucht, wie sich die Schiffe in der dickeren Schicht fahren und steuern lassen und welche Kräfte dann wirken. Dazu wurde jetzt in der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) bei Hamburg ein Großversuch gestartet. Rund 600 Kubikmeter Schlick aus dem Köhlfleet in Hamburg wurden in ein 3000 m² großes Versuchsbecken der BAW gepumpt und mit Wasser aufgefüllt. Dann fahren maßstabsgetreue Schiffsmodelle durch den „Kakao“ und Sensoren beobachten, wie sie sich dabei verhalten. Die Daten werden in Computermodelle übertragen dann auch im Schiffsführungssimulator des Marine Training Centers (MTC) in Hamburg genutzt. So kann das Verhalten von Seeschiffen von Expert*innen und Lotsen beurteilt werden, wenn sie direkt über oder sogar durch bodennahe Schichten von Flüssigschlick fahren.

 

Das Projekt „Nautische Tiefe“ ist eine echte Hafenkooperation, denn „fluid mud“ ist ein Thema in vielen Tideehäfen. Wie die Ergebnisse in die Praxis umgesetzt werden können, ist noch offen, denn Sicherheit steht hier an erster Stelle. Für einige Liegeplätze in Hamburg mit Flüssigschlick konnten bereits größere Tiefgänge für ruhende Schiffe freigegeben werden. Die Projektpartner sind daher optimistisch, dass durch die neuen Verfahren in manchen Fällen auch für fahrende Schiffe mehr Wassertiefe genutzt werden kann als heute. Die Baggereinsätze wären dann dort seltener und effizienter – so werden Kosten gespart und die Natur entlastet.